Depressionen nach MS-Diagnose
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Ich dachte, mein Leben ist vorbei
Dies ist die inspirierende Geschichte von Kevin Hoffmann (kevin_kaempferherz), der nach seiner MS-Diagnose eine tiefe Depression erlitt, seinen Lebenswillen schließlich wiederfand und sich nun für andere Menschen mit chronischen Erkrankungen einsetzt.
Bis es so weit war, lag allerdings ein langer Weg vor ihm. Auf Teneriffa – beim ersten von ihm organisierten Healthcare-Influencer Camp – hat Kevin mir erzählt, wie die Krankheit sein Leben verändert hat, was er durch sie gelernt hat und was ihm heute ganz besonders am Herzen liegt.
Es traf mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel
Alles fing 2014 an. Ich hatte meine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann beendet und war nach einem sechsmonatigem „Work & Travel“ in Australien nach Hause zurückgekehrt. Da passierte es: Ich machte gerade Klimmzüge, als ein Schmerz meine rechte Körperhälfte durchzuckte. Wie ein nasser Sack fiel ich zu Boden. Als ich mich aufrichten wollte, war meine gesamt rechte Seite gelähmt und es gelang mir nicht, aufzustehen.
Nach etwa drei Minuten verschwanden die Beschwerden wieder. Ich dachte: Vielleicht habe ich mir einen Nerv eingeklemmt. Ich brach das Training ab und ging nach Hause.
Doch die Symptome kehrten beinahe stündlich wieder.
Da begann ich mir Sorgen zu machen und ging am nächsten Tag zum Arzt. Es wurde ein MRT (Magnetresonanztomographie) gemacht: Auf den Bildern meines Gehirns, die dabei entstanden, waren weiße Punkte zu sehen. Trotzdem beruhigte mich der Arzt – das sei kein Grund zur Panik. Ich solle das aber beobachten.
Bis zur endgültigen Diagnose vergingen noch sechs Monate. Weitere Schmerzen und Beeinträchtigungen kamen hinzu, verschwanden jedoch meist nach kurzer Zeit. Trotzdem wuchs meine Angst mit jedem Tag. Als dann die Sehkraft auf meinem rechten Auge immer schwächer wurde, bekam ich vom Arzt die Gewissheit: Ich leide an Multipler Sklerose.
Meine Welt brach zusammen
Nach der Diagnose stand ich unter Schock. Ich hatte so viele Zukunftspläne, wollte Karriere machen – und nun das! Die Ärzte rieten mir davon ab, in meinem Job als Veranstaltungskaufmann zu arbeiten. Dabei hatte ich die Ausbildung gerade erst abgeschlossen. Das sei viel zu anstrengend, sagten sie. Und Stress, so hieß es, könne jederzeit einen neuen Schub auslösen.
Ich dachte: Mein Leben ist vorbei!
Allerdings wusste ich gar nicht wirklich, was MS ist. Also habe ich im Internet recherchiert und fand, wenn es um das Thema Multiple Sklerose ging, viele Bilder von Menschen in Rollstühlen. Ich nahm an, ich würde binnen kürzester Zeit pflegebedürftig sein – und geriet in Panik.
Meine Familie und mein sonstiges soziales Umfeld versuchten, mir Mut zu machen, dennoch fühlte ich mich nicht wirklich verstanden. Keiner von ihnen konnte das Ausmaß meiner Verzweiflung auch nur ansatzweise nachvollziehen.
Gut zu wissen
Noch ist nicht vollständig geklärt, was die Ursache für eine Multiple Sklerose-Erkrankung ist. Vermutlich handelt es sich um eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Als mögliche Auslöser gelten Vitamin-D-Mangel, chronische Infektionen, Rauchen, Umwelteinflüsse und genetische Veranlagungen.
Um mich herum wurde es dunkel
Ich kündigte meinen Job, verkroch mich bei heruntergelassenen Rollos in meiner Wohnung, ging nicht mehr zum Sport und nahm 15 Kilo zu. Mein Selbstwertgefühl war am Boden. Irgendwann litt auch die Beziehung zu meiner Freundin darunter. Ich fühlte mich schwach, unattraktiv, bemitleidenswert. Kurz zusammengefasst: Die Depression hatte mich fest im Griff!
Was mich jedoch am meisten quälte, war die Ungewissheit. Nicht umsonst wird Multiple Sklerose als „die Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ bezeichnet. Sie kann sich auf vielfältige Weise äußern und sehr unterschiedlich entwickeln. Betroffene wissen nie, was kommt.
Jeden Abend ging ich mit der Befürchtung zu Bett, am Morgen vielleicht gelähmt aufzuwachen. Oder plötzlich blind zu sein. Oder meine Blase nicht mehr kontrollieren zu können.
Dieses Gedankenkarussell hat mich verrückt gemacht. Bei jedem kleinen Kribbeln im Zeh dachte ich: Das ist bestimmt wieder ein Schub! Die Angst hat mir den Schlaf geraubt, die Lebensfreude und den Mut.
Daten und Fakten
In Deutschland leben rund 250 Tausend Menschen mit der Diagnose MS.
Es handelt sich um eine entzündliche und unheilbare Erkrankung des zentralen Nervensystems.
Symptome und Verlauf der Erkrankung sind sehr unterschiedlich.
Wendepunkt im Regen
Nach anderthalb Jahren und einem für mich sehr schlimmen Winter wurde es Frühling – und da gab es für mich einen Schlüsselmoment, der alles veränderte. Das klingt pathetisch, doch es war wirklich so.
Bei einem Spaziergang mit einem Freund fing es plötzlich an zu regnen. Ich spürte den Regen auf meiner Haut, roch das nasse Gras. In diesem Moment wurde mir klar: Nein! Ich will nicht mehr traurig sein! Ich mag zwar krank sein, trotzdem gibt es so vieles, was ich fühlen und spüren kann. Und das wird auch noch so sein, wenn ich irgendwann vielleicht wirklich mit Beeinträchtigungen zu kämpfen habe.
Dort im Regen begriff ich: Die kleinen Dinge zählen. Kurze Augenblicke, die uns das Gefühl geben, lebendig zu sein.
Ab da begann es mir besser zu gehen. Nicht schlagartig natürlich, aber Schritt für Schritt. Indem ich mir Positives vor Augen führte und versuchte, ganz im Hier und Jetzt zu sein, gelang es mir zunehmend, mich nicht mehr von der Angst vor der Zukunft gefangen nehmen zu lassen. Wieder und wieder machte ich mir klar: „Ich kann immer noch traurig sein, wenn eine Beeinträchtigung da ist. Aber jetzt gerade habe ich keine. Und so lange dies so ist, genieße ich mein Leben, als gäbe es kein Morgen. Es wäre doch verlorene Zeit, wenn ich die nächsten zehn Jahre traurig wäre – vielleicht ganz ohne Symptome zu haben.
Endlich gelang es mir, den Schalter im Kopf umzulegen.
Ich bin sehr dankbar
Heute, elf Jahre nach der Diagnose, geht es mir gut, ich bin stabil. In den ersten drei Jahren hatte ich immer mal wieder kleinere Schübe (etwa einen tauben Fuß, Empfindungsstörungen in den Händen oder eine Sehnerv-Entzündung), doch davon ist nichts geblieben. Noch immer befinden sich in meinem Gehirn vierzehn MS-Herde, aber sie liegen seit drei Jahren still. Gerade kann ich alles tun, was ich will, eigentlich genauso, als hätte ich keine Multiple Sklerose. Heute achte ich allerdings mehr auf mich, als vor der Diagnose. Ich mache viel Sport und ernähre mich extrem gesund.
Neue Chancen
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Neue Chancen
Zwar habe ich mich durch MS von einigen Lebensträumen verabschieden müssen, dafür sind andere hinzugekommen. Ich halte Vorträge, bin auf Social Media aktiv. Mein größter Wunsch heute ist die Förderung echter Inklusion. Noch immer werden Menschen mit Erkrankung und Beeinträchtigung in der Arbeitswelt oft benachteiligt. Das möchte ich ändern. Mein Ziel ist es, eine Agentur zu gründen, in der ausschließlich Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen arbeiten, die alle fair bezahlt werden und ihre Arbeitszeit selbstständig einteilen können – so wie sie es körperlich schaffen. Noch weiß ich nicht genau, wie das funktionieren kann, aber ich bin sicher, ich werde einen Weg finden, diese Idee umzusetzen.
Durch meine Krankheit habe ich erfahren, dass so vieles möglich ist, was man sich anfangs nicht vorstellen kann. Das beste Beispiel dafür ist das „Kämpferherzen-Treffen“, das ich ins Leben gerufen habe. Eine Veranstaltung, bei der Menschen mit chronischen Erkrankungen zusammenkommen, um Informationen, Erfahrungen und Hoffnungen zu teilen. Was anfangs als kleines Follower-Treffen im Park gedacht war, hat sich inzwischen zu einer jährlich stattfindenden Veranstaltung mit über 2000 Besuchern und zahlreichen Vorträgen gemausert.
Meine emotionale Reise mit MS hat mich gelehrt, dass auch in den dunkelsten Momenten Hoffnung und Lebensfreude zu finden sind – und dass selbst aus einer schlimmen Diagnose etwas wirklich Wunderbares entstehen kann.
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