GesundheitErfahrungsbericht

Inkontinent, na und? – Mein aktives Leben mit Reizblase

Karin Pütz
Karin Pütz1.9.2025 • Lesedauer: 7 Min.
Inkontinent, na und?  – Mein aktives Leben mit Reizblase

Weit verbreitet, aber kaum jemand spricht drüber

Allein in Deutschland leiden etwa 13.280.000 Menschen unter einer Reizblase. Das sind rund 16 Prozent der Bevölkerung. Dabei sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Die Ursachen sind vielfältig, doch immer beeinträchtigt die Reizblase, die häufig mit einer Dranginkontinenz einhergeht, den Alltag Betroffener nachhaltig. Oft werden Angst und Scham zu ständigen Begleitern. Eine, die das aus eigener Erfahrung kennt, ist die Autorin und Influencerin Birgit Bulla (@pinkelbelle), 39 Jahre alt. Mittlerweile hat sie gelernt, mit der Krankheit umzugehen. Doch der Weg dorthin war alles andere als einfach. Mit mir hat sie darüber gesprochen, wie sie es dennoch geschafft hat.

Plötzlich war alles anders …

Mit 27 Jahren veränderte sich mein Leben schlagartig. Ich bin schon immer jemand gewesen, der häufig auf die Toilette musste. Scherzhaft sprach ich stets von meiner „Eichhörnchenblase“. Die lag bei uns in der Familie – meine Mutter hatte eine solche Blase auch und sie wiederum hatte sie wohl von ihrem Vater geerbt. Insofern war ich also schon einiges gewohnt. Doch während eines dreimonatigen Roadtrips durch die USA, den ich zusammen mit meiner Zwillingsschwester unternahm, bekam das Ganze plötzlich eine ganz neue Dimension. Alle zwanzig, manchmal alle zehn Minuten „musste ich mal“ – und wie! Sobald ich Harndrang verspürte, war er so dringend, dass ich den Harn kaum einhalten konnte. Meist blieben mir nur wenige Sekunden, um es auf eine Toilette zu schaffen. Gelang das nicht, merkte ich bereits, wie es lief … Immer wieder habe ich mir in die Hose gemacht – und mich unendlich geschämt.

Gut zu wissen

Reizblase oder Dranginkontinenz – der Unterschied

Eine Reizblase geht einher mit häufigem, plötzlichem Harndrang, während eine Dranginkontinenz zusätzlich den unfreiwilligen Verlust von Urin beinhaltet. Eine Reizblase kann also das Symptom einer Dranginkontinenz sein, muss es aber nicht.

Ausreden und Lügen

Die Folgen waren schwerwiegend. Spontanität gehörte von nun an der Vergangenheit an. Ich traf mich immer seltener mit Freunden. Wenn ich es doch einmal wagte, dann gut vorbereitet: Ich trank vorher wenig und ging, bevor ich die Wohnung verließ, noch einmal auf die Toilette. Gingen wir ins Kino, suchte ich mir immer einen Außensitzplatz in der Nähe der dortigen Toiletten. Während eines Films würde ich, so viel stand fest, mindestens dreimal dorthin verschwinden müssen – eher öfter. Der Gedanke, alle Leute bitten zu müssen, mich durchzulassen – ein Alptraum! Ähnlich schlimm: Vor einer besetzten Toilette warten zu müssen. Es war klar, wozu jede Verzögerung unweigerlich führen würde.

Oft fühlte ich mich zu unsicher, um mich solchen Situationen auszusetzen. Ich sagte Einladungen und Veranstaltungen ab, erfand Ausreden und Lügen. Damit ging es mir natürlich auch nicht gut, weil ein solches Verhalten auf Dauer ziemlich einsam macht.

Doch die Angst, in der Öffentlichkeit in die Hose zu machen, war übermächtig – und zudem sehr begründet. Denn genau das ist mir des Öfteren passiert. Damals habe ich meinen Körper gehasst, habe mich in Selbstmitleid verloren und mich immer wieder gefragt: Wieso gerade ICH?

Alleingelassen und hilflos

Natürlich ging ich mit meiner Reizblase auch zu Ärzten. Tatsächlich absolvierte ich einen regelrechten Ärztemarathon, der für mich leider ziemlich frustrierend verlief: Wenn ich mein Problem beschrieb, erlebte ich viele spöttische und abwertende Reaktionen. Sehr oft hörte ich: „Sie sind noch jung und eine Frau, da kommt so etwas schon mal vor. Machen Sie sich keine Sorgen, das wird schon wieder vergehen.“ – Tat es aber nicht! Ganz im Gegenteil, die Reizblase bestimmte mein Leben am Tage und auch bei Nacht. Denn auch nachts musste ich immer wieder aufstehen, um zur Toilette zu hetzen und kam doch meist zu spät dort an.

Irgendwann landete ich bei einem Urologen. Im Wartezimmer saß ich zwischen lauter älteren oder alten Männern. Deren Blicke schienen zu fragen: Was will DIE denn hier?

Ich versuchte, mehr über das Thema „Reizblase bei Frauen“ herauszufinden, doch leider musste ich feststellen, dass es dazu ziemlich wenig Informationen gab. Oft fühlte ich mich hilflos. Gerade das Thema „Urologie aus der Sicht der Frau“ wurde noch sehr stiefmütterlich behandelt. Auch die Informationen, die ich im Internet fand, reichten mir nicht aus. Für mich war das damals ein Grund, meinen Blog „pinkelbelle“ (https://pinkelbelle.de) ins Leben zu rufen. Dort habe ich alles aufgeschrieben, was mir passiert ist, welche Untersuchungen es gibt und welche Behandlungen Ärzte empfehlen.

Endlich ein Lichtblick

Vieles habe ich ausprobiert. Medikamente brachten nicht die gewünschte Wirkung. In meinem Fall war es schließlich das Nervengift Botox (auch Botulinumtoxin A), das mir zu nachhaltiger Besserung verhalf. Es blockiert die Schnittstelle zwischen Nerven und Muskeln, sodass sich die Muskeln nicht mehr anspannen und verkrampfen können. Botox wird deshalb mittlerweile verstärkt als Therapie bei Dranginkontinenz eingesetzt. Mit einer Injektionsnadel wird es direkt in die Blasenwand gespritzt. Die volle Wirkung tritt nach etwa zehn Tagen ein und hält zwischen drei und neun Monaten.

Dieser Vorgang ist alles andere als angenehm, doch mittlerweile lasse ich den Eingriff ohne Narkose machen. Ich bin unendlich dankbar, dass es diese Therapie gibt, denn dank Botox kann ich wieder einen einigermaßen „normalen“ Alltag haben. Musste ich vorher oft alle zehn Minuten auf die Toilette, so kann ich nun eine Stunde durchhalten. Das mag wenig klingen, ist für mich aber ein Riesen-Fortschritt. Ich gehe arbeiten, nehme wieder mehr am sozialen Leben teil und schlafe nachts einigermaßen durch. Für mich ist das in körperlicher und psychischer Hinsicht eine gewaltige Erleichterung.

Noch immer stets gewappnet

Mittlerweile würde ich sagen, dass es mir gut geht. Dennoch bin ich auch heute noch, wenn ich meine Wohnung verlasse, für den Fall der Fälle vorbereitet. Ich verzichte auf eng sitzende und helle Kleidung im Sommer. Außerdem habe ich immer Vorlagen dabei.

Inkontinenzprodukte zu nutzen, so wie ich, das ist leider für die meisten Menschen nach wie vor ein Tabuthema. Dabei ist die Auswahl an Hilfsmitteln, die es im Sanitätshaus zu kaufen gibt, groß. Sie werden jedoch meist mit dem Thema „Altenpflege“ assoziiert und nicht mit jungen Menschen, die mitten im Leben stehen. Dabei gibt es viele Frauen meines Alters, die betroffen sind. Das habe ich dank meines Blogs und der Reaktionen, die dich dort erhalte, erkannt.

Inzwischen gehe ich mit meiner Reizblase viel entspannter um als früher. Auch deshalb, weil ich ein paar Tricks kenne, die mir helfen, wenn sich meine Blase in unpassenden Momenten meldet. Ich knie mich dann hin, drücke meine Ferse in den Beckenboden, um den Druck auszugleichen, und atme tief durch. Oder ich setze mich hin und gehe ein bisschen ins Hohlkreuz – auch das kann den Druck in einigen Fällen etwas wegnehmen.

Frieden mit der Krankheit schließen

Es hat eine Weile gedauert, aber irgendwann ist es mir gelungen, Frieden mit meiner Reizblase zu schließen. Ich habe erkannt: Es bringt mich nicht weiter, mit meinem Schicksal zu hadern. Selbstzweifel und negative Gedanken machen das Leben nur zusätzlich schwer.

Social Media als Hilfe und Aufklärung

Als ich begann, im Internet über meine Erfahrungen zu schreiben, habe ich mein Profil unter dem selbstkreierten Pseudonym „pinkelbelle“ angelegt, weil es mir sehr schwergefallen ist, offen und unter meinem echten Namen über meine Reizblase und meine Dranginkontinenz zu berichten. Das hat sich mittlerweile geändert – aber dafür habe ich Zeit gebraucht.

Die Möglichkeit zum Austausch und die Tatsache, dass ich anderen Frauen in einigen Fällen mit praktischen Tipps sogar habe helfen können, hat wiederum MIR geholfen, meine Situation anzunehmen. Das offene Gespräch ist einfach unglaublich wichtig. Es mag hart klingen, aber es ist eine Tatsache: Wirklich VERSTEHEN kann einen nur, wer die gleichen Erfahrungen teilt.

Menschen, die unter einer Reizblase und unter Dranginkontinenz leiden, haben es verdient, gehört und ernstgenommen zu werden. Deshalb rate ich: Sucht euch Hilfe, gebt nicht auf und vor allem – schämt euch nicht!

Was mich meine Reizblase gelehrt hat

Inzwischen bin ich meiner Erkrankung sogar dankbar. Durch sie habe ich viel gelernt – nicht nur über meinen Körper, sondern auch darüber, was wirklich zählt im Leben. Gerade Frauen sehen sich selbst oft viel zu kritisch, finden sich zu dick, zu dünn, die Nase zu lang, den Busen zu klein oder zu groß. Dabei sollten wir unserem Körper – egal, wie er aussieht – in erster Linie dankbar sein. Denn was er alles leistet, ist ein Wunder. Irgendwann habe ich erkannt: „Mensch Birgit, du hast zwei gesunde Beine, du kannst sehen und riechen – lauter Dinge, die absolut nicht selbstverständlich sind!“ Seither bin ich zu meinem Körper viel netter als früher.

Wir bei joviva haben es uns zur Aufgabe gemacht, Verständnis für körperliche Einschränkungen zu schaffen. Wir möchten Alltagshelden und Mutmachern die Chance geben, ihre Geschichte zu teilen und außerdem dazu beitragen, aufzuklären und Versorgungslücken zu schließen.

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