Mein Weg mit dem Stoma
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Plötzlich war alles anders
Bis zu 30 Durchfälle täglich – was Influencer Paolo (@bagstreet.boy) zunächst für einen heftigen Magen-Darm-Infekt hielt, entpuppte sich als eine andere Erkrankung. Die Diagnose lautete: Morbus Crohn – eine chronische Entzündung des Magen-Darm-Traktes! Binnen drei Monaten nahm der zuvor durchtrainierte Sportstudent, Personal Trainer und Musiker 25 Kilogramm ab und konnte schließlich kaum noch die Wohnung verlassen. Dennoch weigerte er sich lange – beinahe zu lange – die rettende Stoma-OP machen zu lassen. In letzter Sekunde entschied sich Paolo doch dafür – und kann heute wieder ein aktives Leben führen. Er hat zwei Bands, tritt auf Festivals auf, macht auch wieder Sport und klärt auf Social Media über das Leben mit einem Stoma auf. Längst weiß er: Sein Stoma hat ihm das Leben gerettet. Dies ist Paolos Geschichte:
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Die Erkrankung kam aus dem Nichts
Die Probleme begannen bei mir 2012 – quasi aus heiterem Himmel. Zuvor hatte es nie Anzeichen dafür gegeben, dass irgendeine Darmerkrankung auf mich zukommen könnte. Als Kind war bei mir Asthma diagnostiziert worden – emotionales Asthma (starke Emotionen wie Angst oder Wut können bei Betroffenen asthmatische Symptome hervorrufen). Aber mein Darm hatte nie Probleme gemacht. Ich konnte immer alles essen, musste mir keinerlei Gedanken machen. Doch plötzlich war das anders. Was ich zunächst für eine Magen-Darm-Grippe hielt, hörte einfach nicht mehr auf. Und die Symptome wurden schlimmer. Als ich bereits seit drei Wochen dreißig Mal am Tag auf die Toilette musste, war klar: Hier läuft irgendetwas gehörig schief! Es muss sich um etwas Grundlegenderes handeln als um eine Magen-Darm-Grippe!
Also wurde eine Koloskopie mit Biopsie (eine Untersuchung des Dickdarms, bei der ein Arzt mit einer kleinen Zange Gewebeproben entnimmt) durchgeführt. Ich erhielt die Diagnose Colitis ulcerosa (eine meist vom Enddarm ausgehende chronisch-entzündliche Darmerkrankung), die dann sehr bald in Morbus Crohn (eine chronische Entzündung des Magen-Darm-Traktes) geändert wurde.
Meine erste Reaktion war Verleugnung. Das konnte und DURFTE nicht sein! Ich verschloss die Augen vor der Realität. Rein rational begriff ich die Diagnose zwar, hoffte aber trotzdem, es handele sich um einen Irrtum. Schließlich war doch früher immer alles gut gewesen. Warum sollte sich das plötzlich geändert haben? Bestimmt würden meine Beschwerden irgendwann von selbst wieder verschwinden. Ich klammerte mich verzweifelt an diesen Gedanken.
Gut zu wissen
Morbus Crohn ist eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, die in Schüben verläuft. Es gibt Phasen mit und ohne Beschwerden. Schätzungen zufolge leben in Deutschland zwischen 250.000 und 300.000 Menschen mit Morbus Crohn. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Typischerweise tritt die Erkrankung zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr erstmals auf.
Hauptsächliche Symptome:
chronischer Durchfall
krampfartige Bauchschmerzen
Gewichtsverlust
allgemeine Erschöpfung.
Hinzukommen können:
Fieber
Müdigkeit
Appetitlosigkeit
Aphthen im Mund
Alles, was mich ausmachte, war plötzlich vorbei
Doch je länger es mir schlecht und immer schlechter ging, umso mehr dämmerte mir, dass ich wirklich chronisch krank war. Morbus Crohn würde nicht einfach wieder verschwinden – auch wenn ich es mir noch so sehr wünschte. Die Erkrankung würde mich lebenslang begleiten.
Diese Erkenntnis war bitter – und niederschmetternd.
Mein ganzes Leben brach zusammen. Ich war Sportstudent, Personal Trainer und Musiker gewesen. All das war nun nicht mehr möglich. Ich verlor meine komplette Identität!
So gut wie nichts ging mehr
Binnen drei Monaten baute ich 25 Kilogramm ab. Selbst der Gang zum Supermarkt, der nur 200 Meter entfernt war, wurde unmöglich. Meine Beine trugen mich nicht mehr, und auch vom Darm her schaffte ich es nicht. Ich hätte unterwegs mehrmals auf die Toilette gemusst. Also machte mein Vater die Einkäufe für mich und brachte die Dinge, die ich brauchte, bei mir vorbei.
Sieben düstere Jahre
Zwischen der Diagnose und dem Zeitpunkt, als ich mein Stoma bekam, lagen sieben wirklich düstere Jahre. In der verzweifelten Bemühung, dass es mir besser gehen möge, probierte ich alles Erdenkliche aus. So aß ich beispielsweise wochenlang nur Bananen. Ein andermal verzichtete für eine Weile komplett auf Fleisch und Tierprodukte. Letzterer Versuch führte zu einer kurzen Phase von zehn Monaten, in denen es mir etwas besser ging (15 Toilettengänge täglich statt der bisherigen 30!). Ich nutzte diese Zeit, um meine Ausbildung zum Tourismusverwalter in Spanien zu beenden. Nachdem das geschafft war, brach die Krankheit erneut mit voller Wucht aus und beruhigte sich auch nicht wieder bis zu meiner Stoma-Operation.
Eher sterbe ich!
Als mir mein Arzt die Möglichkeit eines Stomas vorschlug, lehnte ich dies vehement ab. „Auf keinen Fall! Sprechen Sie dieses Thema nie wieder an!“
Ein anderer Patient erzählte mir begeistert, wie gut es ihm seit seiner Stoma-OP gehe. Dass er wieder alles essen könne und studiere. Er wollte mir Mut machen – doch ich war zu fixiert auf das gute Aussehen, das ich als Sportstudent gehabt hatte. Ein Stomabeutel passte einfach nicht in mein Selbstbild.
Es ist verrückt – aber ich dachte noch immer, ich komme wieder zu der Optik zurück, die ich vor der Erkrankung gehabt hatte. Ich realisierte gar nicht, dass ich längst so sehr abgebraut hatte, so krank war, dass es mir mit einem Stoma nur besser gehen konnte. In meinem Kopf geisterte vehement der Gedanke herum: Wenn ich jetzt diesen Beutel bekomme, dann werde ich niemals wieder so attraktiv, so sportlich und aktiv sein wie zuvor.
Dabei war ich längst ein Schatten meiner selbst, ein Häuflein Elend – abgemagert, schwach und kraftlos.
Doch ich hatte den Punkt noch nicht erreicht, an dem ich endlich stark genug war, der Realität ins Auge zu schauen.
Das änderte sich erst, als mir der Arzt mitteilte: Leider haben sie nicht mehr viele Optionen. Es bleibt nur die Stoma-Operation – oder sie werden sterben.
Zum Glück entschied ich mich fürs Leben und stimmte der OP endlich zu. Mir wurde das Stoma in einer Not-OP an einem Freitagabend im Jahr 2018 gelegt.
Mein Stoma – keine Einschränkung, sondern Lebensqualität
Diese OP war meine Rettung. Mein Stoma hat mir ein neues Leben geschenkt. Heute mache ich Musik in zwei Bands, habe eine großartige Partnerin und gute Freunde. Dank Social Media darf ich mein Wissen und meine Erfahrungen über das Leben mit Stoma mit anderen Menschen teilen. Ich möchte Betroffenen die Angst nehmen und hoffe, sie dabei unterstützen zu können, auch mit Stoma zu einem erfüllten Leben zurückzufinden. Seit der OP bin ich im Grunde zu dem Menschen geworden, den ich selbst damals gebraucht hätte, als es mir so schlecht ging. Ich bin sehr dankbar dafür, wie die Dinge jetzt sind.
Persönliche Kraftquellen finden
In meinem täglichen Leben gibt es vieles, aus dem ich Kraft ziehe. Sport gehört dazu, Musik machen und hören, Zeit mit Tieren verbringen und mein Engagement für den Tierschutz. Seit ich mit dem Stoma lebe, habe ich mir eine neue Identität erschaffen, eine, die in meinen Augen keine Tiefs kennt. Gut möglich, dass dies eine Art Selbstbetrug ist, aber solange der funktioniert – und das tut er gerade – nutze ich die Sichtweise weiter.
Um den Kopf freizubekommen, schlüpfe ich gerne in andere Identitäten und erkunde Welten, in denen die Helden (zum Beispiel Batman oder Son Goku aus Dragonball) statt eines Stomas Superkräfte besitzen. Aus Videospielen, Anime- und Actionfilmen ziehe ich Philosophien und Eigenschaften, die ich bewundere – und baue sie in mein echtes Leben ein.
Partnerschaft und Dating
Natürlich war nach meiner Stoma-OP nicht gleich alles gut. So verschloss ich mich dem Dating gegenüber anfangs komplett. Ich wollte mich niemandem zeigen.
Erst als ich wieder Sport machte und einen Job hatte, baute sich mein Selbstwertgefühl langsam wieder auf und ich wurde offener.
Meine erste Partnerin nach der Stoma-OP hatte eine sehr kranke Mutter und zeigte großes Verständnis. Sie gab mir die Möglichkeit, mich in meinem Tempo zu öffnen. Meine jetzige Partnerin lernte ich sogar über das Stoma kennen – sie sah meine Videos, weil ihre Schwester auch eine chronische Erkrankung hatte.
Mittlerweile bin ich überzeugt: Wenn jemand mit Stoma nicht gedatet wird, wäre er wahrscheinlich auch ohne Stoma nicht gedatet worden. Es liegt nicht am Stoma-Beutel, wenn es nicht funktioniert, sondern an fehlendem Selbstvertrauen und Charisma.
Peinliche Momente kommen vor
Auch bei mir gab und gibt es natürlich peinliche Situationen, die ich mit meinem Stoma erlebt habe und erlebe. Nachts neben der Partnerin liegend zu merken, dass das Bett verdächtig warm ist, weil der Stomabeutel übergelaufen ist, gehört dazu. Ein anderes Mal ist mir der gefüllte Beutel abgefallen und er landete direkt vor den Füßen eines Freundes, der gerade bei mir zu Hause war.
Natürlich sind solche Situationen unangenehm, doch ich persönlich habe immer sehr viel Verständnis erlebt. Im besten Falle lacht man gemeinsam über das, was geschehen ist.
Ich bin sehr zufrieden
Im Normalfall funktioniert jedoch alles sehr gut. Manches braucht natürlich ein bisschen Planung, aber das nehme ich gerne in Kauf. Wenn ein Konzert ansteht, esse ich beispielsweise zuvor zwei bis drei Stunden nichts. Bei meinen Auftritten spiele ich oft mit nacktem Oberkörper und will nicht, dass sich der Beutel an der Bandage füllt. Für spontane Reisen habe ich immer ausreichend Stoma-Versorgung zu Hause. Auch wenn ich länger verreisen möchte – länger als einen Monat – ist das kein Problem. Ich muss dann nur beim Versorger anrufen.
Beim Sport allerdings musste ich mich nach der Stoma-OP ein wenig anpassen. Früher habe ich immer viel Krafttraining gemacht. Aber schweres Heben mit Pressatmung ist wegen der Gefahr einer parastomalen Hernie (auch Stomabruch genannt) zu riskant. Deshalb trainiere ich jetzt leichter, dafür langsamer und kontrollierter. Meine Erfahrung ist: Dem Muskel ist es egal, wie viel man hebt – er kennt nur die Anstrengung, die man über Geschwindigkeit und Wiederholungen regulieren kann. Trotzdem vermisse ich es manchmal, 160 Kilo zu stemmen. Dieses Gefühl von Power war toll – aber Gesundheit geht vor.
Wünsche für die Zukunft
Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann vielleicht, dass es etwas mehr Auswahl bei Stoma-Beuteln geben würde – solche für besondere Zwecke, die man privat kaufen kann. Ich denke da beispielsweise an einen Nachtbeutel, den man speziell bei Magen-Darm-Problemen trägt. Oder einfach Beutel in verschiedenen Farben, die man passend zum Outfit auswählen kann. Oft kommt es vor, dass einem ein Beutel optisch besser gefällt, aber die Platte eines anderen besser sitzt. Da wäre mehr Auswahl super. Aber die Entwicklung geht weiter – ich bin gespannt, auf das, was kommt!
Wir bei joviva haben es uns zur Aufgabe gemacht, Verständnis für körperliche Einschränkungen zu schaffen. Wir möchten dazu beitragen, aufzuklären und Versorgungslücken zu schließen. Die Wahl des richtigen Hilfsmittels macht einen großen Unterschied und kann Problemen in vielen Fällen vorbeugen.
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