Meine Multiple-Sklerose wurde viel zu spät erkannt
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Ich musste lange um eine Diagnose kämpfen – als sie kam, war es ein Schock
Lena (@aufkeinstenlena) steht mitten im Leben, ist engagiert und liebt ihren Job. Sie hat immer wieder unterschiedliche Arten von Schmerzen, doch kein Arzt schenkt diesen große Beachtung oder versucht der Ursache auf den Grund zu gehen. Selbst als MRT-Bilder belegen, dass Lena geschädigte Bereiche im Rückenmark und Entzündungsherde im Gehirn hat, versucht eine Ärztin sie noch abzuwimmeln.
Lena ist eine starke Frau, die sich immer für andere eingesetzt hat, aber die Diagnose „Multiple Sklerose“ – die sie nach rund vier Jahren wiederkehrender Symptome erhielt – zunächst ganz für sich allein verarbeiten musste. Halt und Kraft fand sie in den Sozialen Medien in der Community der chronisch erkrankten Menschen. Das ist Lenas Geschichte:
Lange schaute niemand genau hin
Schon während meiner Ausbildung zur Operationstechnischen Assistentin (OTA) hatte ich die ersten Symptome. Mal war es ein tauber Arm, der mir Probleme machte, mal war es ein taubes Bein. Doch die Beschwerden waren recht unspezifisch und passten immer zu unterschiedlichen orthopädischen Diagnosen. Ich wurde eingerenkt, machte Physiotherapie – und nach ein paar Wochen fühlte ich mich wieder besser. So ging es über mehrere Jahre, ohne dass irgendjemand genauer hingeschaut hätte.
Dann kam der Tag, der für mich alles veränderte. Ein Bekannter von mir, ein Arzt, der früher mit mir im selben Krankenhaus gearbeitet hatte, sagte zu mir: „Hör mal, Kollegin, ich glaube, der Grund für deine immer widerkehrenden Beschwerden könnte ein Bandscheibenvorfall sein.“
Auch mir erschien diese Erklärung plausibel. Also ließ ich ein MRT (Magnetresonanztomographie) machen. – Doch auf das, was ich zu sehen bekam, war ich nicht vorbereitet. Das MRT-Bild zeigte keinen Bandscheibenvorfall – sondern Läsionen (geschädigte oder verletzte Bereiche) im Rückenmark! Als mögliche Diagnose war zu dem Bild vermerkt worden: „Verdacht auf Multiple Sklerose“.
Mein behandelnder Arzt, der sich das MRT-Bild mit mir zusammen anschaute, winkte jedoch ab. „Nein, ich glaube nicht, dass es das ist.“
Doch seine Worte beruhigten mich diesmal nicht.
Ich wurde nicht ernstgenommen
Ich ließ ein Kontroll-MRT von meinem Gehirn machen. Zuvor wurde mir ein Kontrastmittel injiziert.
Auf dem MRT-Bild, das dabei entstand, leuchtete es überall! Mir war klar, was das bedeutete … Ich saß also an einem Donnerstagabend allein zu Hause und las über einen QR-Code den Befund. Ohne Arzt, ohne Beistand. Einfach so erfuhr ich, dass ich tatsächlich Multiple Sklerose habe.
Ein befreundeter Arzt überredete mich schließlich, ins Krankenhaus zu fahren. Bis ich mich dazu durchgerungen hatte, war es Freitagnachmittag geworden. Doch die Neurologin im Krankenhaus schickte mich wieder weg. „Kann es sein, dass Sie sich da etwas einbilden?“, sagte sie zu mir. „Vielleicht sehen Sie Gespenster, weil Sie als OP-Assistentin die typischen MS-Symptome kennen.“ Stattdessen vermutete die Frau eine Migräne als Ursache für meine Beschwerden.
Ich war fassungslos!
Am folgenden Montag ging ich zu meiner Hausärztin, die mich glücklicherweise sofort ernst nahm und mir eine Einweisung in ein anderes Krankenhaus schrieb. Dort wurden dann endlich alle nötigen Untersuchungen durchgeführt – unter anderem ein weiteres MRT, eine Nervenmessung sowie eine Sehnerv-Messung.
Plötzlich selbst Patientin
Wenn man – wie ich – im medizinischen Bereich arbeitet, denkt man häufig, dass einen so schnell nichts schocken kann. Ich habe viele Verletzungen, Unfälle und Krankheiten gesehen – bei anderen. Nie ist es mir schwergefallen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch jetzt war ich selbst die Patientin – und das änderte alles …
Zwar versuchte ich, positiv zu bleiben und nicht in Panik zu geraten, doch es gelang mir nicht, das Gedankenkarussell in meinem Kopf zu stoppen. Was würde auf mich zukommen? Wann? Wie viel Zeit blieb mir noch, bis sich mein Zustand verschlechtern würde? Würde ich bald im Rollstuhl sitzen? – Ganz ehrlich: Das Wochenende, an dem ich nach den Untersuchungen auf die endgültigen Ergebnisse warten musste, war die Hölle.
Während meiner Ausbildung hatte ich bereits einiges über Multiple Sklerose gelernt. Das machte es jetzt für mich nicht gerade einfacher. Von Anfang an wusste ich ganz genau, was diese Diagnose alles bedeuten kann …
Was du über MS wissen solltest
Bei der Multiplen Sklerose greift das körpereigene Immunsystem die Isolierschicht der Nervenbahnen an. Je nachdem, welcher Bereich des zentralen Nervensystems geschädigt wird, können unterschiedliche neurologische Ausfälle und Symptome die Folge sein.
Häufige Symptome:
Sehstörungen wie trübes Sehen, Doppelbilder oder eingeschränktes Farbensehen
Missempfindungen wie Taubheit und Kribbeln in Armen, Beinen oder im Gesicht
motorische Störungen wie Schwäche in den Muskeln, Gleichgewichtsprobleme oder Koordinationsstörungen
chronische Müdigkeit (Fatigue)
Blasen- und Darmfunktionsstörungen
Wenn das Umfeld nicht weiß, wie es helfen soll
Nicht nur für mich selbst, auch für die Menschen, die mir nahestehen, war es sehr schwer, mit der Diagnose umzugehen. Meine Familie tat alles, um für mich da zu sein. Natürlich wollte sie nur mein Bestes, aber tatsächlich waren mir ihre Bemühungen manchmal etwas zu viel. Oft musste ich bremsen und sagen: „Ich bin euch sehr dankbar für alles! Aber ich möchte selbst entscheiden, wann ich Hilfe annehme und wann nicht.“
Sehr oft hörte ich den Satz: „Es wird schon alles gut werden!“ Diese Aussage sollte mir Mut machen. Doch ich erkannte sehr schnell, dass sie zugleich der Versuch war, eigene mit der Krankheitsbezeichnung MS verbundene Sorgen und Ängste wegzuschieben.
Mir hat das nicht sehr geholfen.
Was ich wirklich gebraucht hätte
Ich bin der Meinung, Gefühle müssen gefühlt werden – immer und ohne Einschränkung. Egal, ob sie positiv oder negativ sind.
So habe ich es auch selbst gehandhabt. Irgendwann war ich an dem Punkt angekommen, da habe ich zu einer mir nahestehenden Person gesagt: Du setzt dich jetzt hier hin und hörst mir zu! Ich will kein Wort von dir hören, bis ich dir all das erzählt habe, was mich gerade stresst, nervt oder ankotzt. Danach können wir gemeinsam darüber sprechen und zusammen weinen. Das ist völlig okay. Aber jetzt bin erstmal nur ich dran.“
Das mag im ersten Moment schroff und unfreundlich klingen, war für mich aber nötig und gut. Ich habe einmal alles rausgelassen. Wirklich alles. Danach fühlte ich mich besser und konnte viel neutraler über meine Situation nachdenken.
Muskelspasmen gehören zu meinem Alltag
Etwa 80 Prozent aller MS-Betroffenen leiden im Laufe ihrer Erkrankung an Muskelspasmen. Auch ich gehöre dazu. Muskelspasmen kann man sich ähnlich wie einen mittelschweren, dauerhaften Wadenkrampf vorstellen.
Mittlerweile nehme ich Muskelrelaxanzien. Auch Sport hilft mir – je nach Tagesverfassung – sehr gut. So habe ich beispielsweise Yoga für mich entdeckt. Außerdem tanze ich (Gardetanz) und bekomme darüber hinaus einmal die Woche Physiotherapie (auf Dauerrezept).
Meine Physiotherapeutin sagt immer zu mir: „Je mehr du dir jetzt an Bewegungsfähigkeit erarbeitest, umso mehr kannst du später verlieren, ohne dass du unbeweglich wirst.“ Ich bereite mich also auf einen Fall vor, der theoretisch jederzeit eintreten kann.
Fatale Flucht in die Arbeit
Es war der 29. Juni, als ich die Diagnose MS erhalten habe. Am 30. Juni habe ich sie öffentlich gemacht. Als Content Creator mit medizinischem Hintergrund wollte ich zeigen, wie so eine Diagnose abläuft – und wie es danach weitergeht. Aber ich war auch auf der Suche nach Gemeinschaft mit Menschen, die das Ganze schon durchgemacht hatten. Ich hoffte auf Zuspruch, wollte mich nicht so allein mit meiner Krankheit fühlen.
Doch abgesehen davon, habe ich auch viel verdrängt. Drei Wochen war ich krankgeschrieben. Anschließend ging ich sofort wieder Vollzeit arbeiten – inklusive Bereitschaftsdienst und 24-Stunden-Dienst. Ich wollte unbedingt so weitermachen, als gäbe es meine Krankheit nicht. Die Folge war: Ich überlastete mich derart, dass ich nach rund sechs Wochen einen Schub bekam!
Wissenswertes über einen MS-Schub
Als ein Schub wird eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch das Auftreten neuer oder die Wiederkehr bekannter Symptome bezeichnet, wenn sie mindestens 24 Stunden andauern und auf einer neuen Entzündung im Gehirn oder Rückenmark beruhen.
Die Dauer eines Schubes kann variieren. Er kann Tage aber auch mehrere Wochen dauern.
Ausgelöst werden Schübe in der Regel durch eine Kombination aus körperlichen und psychischen Stressfaktoren. Begünstigt werden sie durch Infektionen, Schlafmangel, hormonelle Veränderungen und das Absetzen von Medikamenten.
Hitze kann Symptome vorübergehend verschlimmern, ist aber kein Auslöser für einen Schub.
Bei einem Schub solltest du schnellstmöglich einen Arzt aufsuchen, da er die Gefahr von bleibenden körperlichen Einschränkungen erhöht.
Plötzlich arbeitsunfähig
Inzwischen gelte ich als arbeitsunfähig. Zunächst bin ich dadurch in eine depressive Phase geraten. Ich habe meinen Job geliebt, hatte großartige Kollegen und fühlte mich sehr wohl. Es war sehr schmerzhaft für mich, mir eingestehen zu müssen, dass alles, was ich mir mit viel Engagement aufgebaut hatte, nun der Vergangenheit angehörte.
Tatsächlich fiel es mir noch schwerer, die Arbeitsunfähigkeit zu akzeptieren als die Diagnose.
Muskelspasmen gehören zu meinem Alltag
Etwa 80 Prozent aller MS-Betroffenen leiden im Laufe ihrer Erkrankung an Muskelspasmen. Auch ich gehöre dazu. Muskelspasmen kann man sich ähnlich wie einen mittelschweren, dauerhaften Wadenkrampf vorstellen.
Mittlerweile nehme ich Muskelrelaxanzien. Auch Sport hilft mir – je nach Tagesverfassung – sehr gut. So habe ich beispielsweise Yoga für mich entdeckt. Außerdem tanze ich (Gardetanz) und bekomme darüber hinaus einmal die Woche Physiotherapie (auf Dauerrezept).
Meine Physiotherapeutin sagt immer zu mir: „Je mehr du dir jetzt an Bewegungsfähigkeit erarbeitest, umso mehr kannst du später verlieren, ohne dass du unbeweglich wirst.“ Ich bereite mich also auf einen Fall vor, der theoretisch jederzeit eintreten kann.
Die große Ungewissheit
Ich spüre meine Krankheit und deren Folgen jeden Tag. Früher habe ich mir ständig Sorgen gemacht: Wann wird der nächste Schub kommen? Wie stark wird er sein? – Mittlerweile bin ich, was das angeht, gelassener geworden. Ich habe Menschen um mich herum, auf die ich mich hundertprozentig verlassen kann. Da ist meine Familie, mein Partner und dessen Familie, mit der ich mich blendend verstehe. Ich weiß, egal was passiert, ich werde Unterstützung bekommen.
Dennoch versuche ich natürlich, meinen Alltag so zu gestalten, dass ich nicht leichtfertig einen Schub auslöse. Wo immer es möglich ist, reduziere ich Stress. Das bedeutet auch, dass ich manchmal zu Verabredungen und Treffen mit Freunden oder Familie schweren Herzens „Nein“ sagen muss.
Manchmal kündigen sich Schübe an, manchmal nicht. Zwischen meinem letzten und dem davor lagen zwei Jahre – eine ziemlich lange Zeit. Das war gut. Der letzte Schub äußerte sich durch Migräne, ausgelöst durch meine Muskelspasmen im Nacken. Bei großer Hitze kann manchmal auch das sogenannte „Uhthoff-Phänomen“ auftreten. Der Körper überhitzt und zeigt Schub-Symptome. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um einen Schub. Eine kalte Dusche hilft dann, den Körper abzukühlen und die Symptome wieder zu lindern.
Eine tiefe Verbundenheit
Heute kann ich meiner MS-Diagnose sogar etwas Positives abgewinnen. Denn meine Erkrankung hat mir viele ganz neue Türen geöffnet. So habe ich beispielsweise in der Community der chronisch erkrankten Menschen eine ganz neue Art der Gemeinschaft erfahren und viele wirklich tolle Menschen kennengelernt. In dieser Community gibt es einfach viel Verständnis füreinander – auch wenn man nicht die gleiche Diagnose erhalten hat.
Beschäftigt mich ein Thema, das aus meinem privaten Umfeld vielleicht niemand richtig nachvollziehen kann, so wende ich mich an die Community. Ich weiß genau: Alle dort sind sofort für mich da. Sie fragen mich dann einfach: „Was brauchst du? Wollen wir heulen? Wollen wir uns aufregen oder einfach über etwas anderes reden?“ Einen solchen Zusammenhalt wie in dieser Community habe ich noch nie zuvor erlebt.
Zukunftspläne trotz allem
Ich habe überlegt, ein Buch zu schreiben, aber das ist schwierig. Die Diagnosefindung in Bezug auf meine MS ist zwar abgeschlossen, aber es kommen immer wieder neue Diagnosen dazu – gerade zum Beispiel eine Schilddrüsenunterfunktion. Das heißt, meine Krankengeschichte ist noch zu sehr in Bewegung, als dass ich darüber Schreiben könnte.
Aber Kinder wünsche ich mir auf jeden Fall. Früher dachte ich an eine ganze Fußballmannschaft, mittlerweile wäre ich mit zweien zufrieden. Mein Partner weiß das und ist einverstanden.
Mein Wunsch für andere
Ich wünsche mir, dass junge Menschen, vor allem junge Frauen, bei Ärzten schneller ernst genommen werden. Bei mir selbst hat es rund vier Jahre gedauert, bis ich endlich meine MS-Diagnose erhalten habe.
Zuvor war ich von Ärzten immer schnell weggeschickt worden – eine oberflächliche Untersuchung, ein kurzes Gespräch – das war’s! Jedes Mal wurde nur nach der nächstbesten, einfachen Erklärung gesucht. Auch die Tatsache, dass ich es mit wiederkehrenden Symptomen zu tun hatte, veranlasste keinen der Ärzte, tiefer in die Ursachenforschung zu gehen.
Mir wurde beispielsweise ständig gesagt, ich solle Sport machen, damit meine vermeintlichen Rückenprobleme verschwänden. Das habe ich getan – aber die Probleme blieben. Trotzdem hörte ich beim nächsten Arztbesuch die gleiche Empfehlung.
Dieses medizinische Gaslighting muss aufhöre: Ärzte sollten ihren Patienten unbedingt besser zuhören – besonders den Frauen! Denn da heißt es schnell: „Ach, Sie haben sicher Ihre Periode und sind deshalb ein wenig ängstlich.“ Solche Aussagen sind diskriminierend, rückständig und sollten längt der Vergangenheit angehören!
Die geschilderten medizinischen Sachverhalte sind nicht oder nur bedingt als Ratschläge oder Empfehlungen zu verstehen und ersetzen in keinem Fall den Besuch bei einem Arzt, in einem Sanitätshaus oder die eigene sorgfältige Recherche. Für die Inhalte verlinkter Internetseiten sind ausschließlich die jeweiligen Betreiber bzw. Verfasser verantwortlich. Veröffentlichte Bilder stellen das Eigentum des Verfassers dar. Zwecks optimierter Lesbarkeit wird in der Regel die männliche Form verwendet. Die weibliche Form ist dabei selbstverständlich – wenn sinnvoll – eingeschlossen.
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