Wenn das Herz etwas anders schlägt
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Unheilbar krank – und eine engagierte Kämpferin!
Die Influencerin, Autorin und Speakerin Sabrina Lorenz (@fragments_of_living) wurde mit einer komplexen Herzerkrankung geboren und hat darüber hinaus weitere chronische Erkrankungen. Außerdem ist Sabrina eine Kämpferin! Sie setzt sich ein FÜR Inklusion und GEGEN Ableismus (Abwertung und Ausgrenzung von Menschen mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen) sowie GEGEN Diskriminierung von chronisch Kranken. Mit mir hat sie darüber gesprochen, was sie antreibt, wie sie mit ihrer verkürzten Lebenserwartung umgeht und damit, dass sie nie weiß, wie es ihr in einem Tag oder in einer Stunde gehen wird. – Und wie es ihr dennoch immer wieder gelingt, Momente zu finden, in denen sie einfach glücklich ist. Für mich war es ein beeindruckendes, spannendes und überaus inspirierendes Gespräch.
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Das Interview zum Nachlesen
Was macht deine Krankheit aus und was bedeutet sie für deinen Alltag?
Ich lebe mit verschiedenen chronischen Erkrankungen. Primär bin ich aber mit einer komplexen Herzerkrankung geboren worden. Meine Erkrankung ist fortschreitend, chronisch und palliativ. Sie befindet sich mehr oder weniger im Endstadium. Ich habe verschiedene Symptome, mein ganzes System ist durch die Krankheit belastet. Wenn ich morgens aufwache, fühlt es sich meist ein bisschen so an, als würde mein Herz schon Sport machen. Selbst Sitzen ist für mich oft wie ein Marathon. Wenn man das weiß, kann man sich vielleicht vorstellen, dass für mich alles sehr viel anstrengender ist als für andere. Das führt dazu, dass ich eine sehr limitierte Energie habe – was wiederum einen großen Einfluss auf meinen Alltag hat. Dadurch, dass ich neben meiner Herzerkrankung auch noch mehrere chronische Erkrankungen habe, fühlt es sich für mich jeden Morgen ein bisschen an, als würde ich Roulette spielen. Nach dem Motto: „Schauen wir mal, welche Symptome heute präsent sind. Und in zwei Stunden schauen wir dann nochmal.“ Ich lebe mit dem Wissen, dass ich nicht weiß, wie es mir in drei Stunden gehen wird. Das bedeutet, ich lebe mit einer gewissen Unplanbarkeit, einer Unsicherheit, weil meine Symptome über den Tag hinweg stark variieren können und meine Tagesform eben auch extrem unterschiedlich ist. Mein Krankheitsbild ist sehr dynamisch.
Du setzt dich sehr stark FÜR Inklusion und GEGEN Ableismus sowie Diskriminierung von chronisch erkrankten Menschen ein. Seit wann machst du das schon und wie ist es dazu gekommen?
Ich erlebe Ableismus seit ich chronisch krank bin und seit ich schwerbehindert bin – also quasi seit ich existiere. Ich habe Ableismus aber erst lange gar nicht erkannt, sondern gedacht: „Na ja, so geht man halt mit Menschen mit Behinderung um.“ Sie werden ausgeschlossen von vielem. Etwa in dem Sinne: „Du hast ja eine Behinderung und kannst nicht schnell rennen, deshalb wollen wir nicht mit dir spielen.“ Oder Erwachsene sagen einem: „Ach, deine Geschichte ist aber interessant. Erzähl mir mal dein Leben, denn ich habe ein Anrecht darauf, mein Interesse befriedigt zu bekommen.“ Ich will aber nicht über meine Erkrankung definiert werden, sondern als ganzer Menschen gesehen werden. Es gab und gibt einfach immer wieder Situationen, die sich für mich sehr irritierend angefühlt haben, wo ich gemerkt habe, ich werde gerade anders behandelt – und zwar auf eine abwertende Art und Weise – auch dann, wenn es Menschen eigentlich vielleicht gut gemeint haben. „Trotz deiner Behinderung bist du ja eine gute Schülerin“, ist so ein Beispiel.
Tatsächlich bin ich dann, als ich 18 Jahre alt war, in den Sozialen Medien über den Begriff „Ableismus“ gestolpert. Da habe ich gedacht: „Krass! Es gibt tatsächlich ein Wort für das, was ich erlebe!“
Dann habe ich angefangen, über meine Erfahrungen und über meine Lebensrealität mit chronischen Erkrankungen zu schreiben. Darauf habe ich sehr viele Reaktionen bekommen, von Menschen, die gesagt haben. „Wow! Das habe ich auch erlebt – und ich habe mich dabei schlecht gefühlt!“
Ich habe mich dann in das Thema eingelesen, habe Soziale Arbeit studiert und all meine Themenschwerpunkte, alle meine wissenschaftlichen Arbeiten im Studium auf Ableismus ausgerichtet. Mir war und ist das einfach wichtig: Unsere Gefühle, also die von chronisch erkrankten Menschen, sind valide und sie sind echt. Sie müssen ernstgenommen werden! Stattdessen hören wir immer wieder: „Stell dich nicht so an, das ist doch nicht so schlimm!“ Deshalb war für mich die intrinsische Motivation ganz groß, mein Empfinden zu verwissenschaftlichen, es wissenschaftlich belegen zu können. Dadurch ist schließlich das entstanden, was ich heute mache.
Kannst du Beispiele für Diskriminierung nennen, die du selbst erlebt hast?
Es fängt schon im Kleinen an. Es ist diskriminierend, wenn ich zum Beispiel einen Film nicht sehen kann, weil das Kino nicht barrierefrei ist. Darüber hinaus passieren teilweise sehr übergriffige Dinge. Etwa, wenn mir bei einer Pflegebegutachtung sehr intime Fragen gestellt werden, mit denen ich mich nicht konfrontiert sähe, wenn ich nicht schwerbehindert wäre. Fragen, die teilweise gar nichts mit meiner Krankheitsthematik zu tun haben, sondern sehr privat sind. Da ich aber von unserem Gesundheitssystem abhängig bin, von der Pflegeversorgung und von Menschen, die mich unterstützen in meinen Bedarfen, kann ich mich nicht oder nur schwer gegen solche Übergriffigkeiten wehren. Da existiert ein immenses Machtgefälle. Mit diesem Machtgefälle werden wir chronisch erkrankten Menschen an ganz vielen Stellen in unserer Gesellschaft konfrontiert, weil wir eben an ganz vielen Stellen auf Unterstützung angewiesen sind.
Tatsächlich ist es so: Überall da, wo Menschen mit Behinderung existieren, geschieht Diskriminierung – und überall da, wo Menschen mit Behinderung NICHT sind, passiert ebenfalls Diskriminierung, weil diese Orte so wenig barrierefrei sind, dass wir erst gar nicht dort hinkommen können. Dabei hat jeder Mensch das Potenzial, irgendwann chronisch krank zu werden. Diese Tatsache scheint etwas mit nicht chronisch erkrankten Menschen zu machen. Sie haben Angst vor Verlust, sprechen aber nicht darüber, sondern verdrängen und schauen weg. Dadurch vergrößert sich der Riss zwischen nicht chronisch erkrankten Menschen und chronisch erkrankten Menschen.
An jedem Tag, an dem ich Menschen begegne, denen ich zuvor noch nicht begegnet bin – und das passiert schon in dem Moment, in dem ich in ein öffentliches Verkehrsmittel steige – erlebe ich Diskriminierung. Und weil Diskriminierung in so vielen großen und kleinen Momenten passiert, mache ich darauf aufmerksam.
Wie sieht deine ideale Welt aus? Was wäre anders?
In einer idealen Welt würde allen Menschen das Recht zugesprochen, selbst zu entscheiden, was sie können und was nicht. Es würde gemeinsam geschaut, was chronisch erkrankte Menschen möchten und dann dafür gesorgt, dass die dafür notwendigen Möglichkeiten und Wege geschaffen werden. In der Realität habe ich leider immer noch das Gefühl, dass wir nur so lange toleriert werden, wie wir nicht auffallen. Ganz nach dem Motto: „Du kannst ruhig chronisch krank sein – aber sage und zeige mir das nicht!“
Du machst Poetry-Slam. Welche Erfahrungen hast du dabei bisher gemacht?
Ableismus oder auch chronische Erkrankungen und Vulnerabilität sind häufig noch sehr nischige Themen. Inklusion hat im Moment noch eine sehr spezifische Bühne und ist bis heute nicht im Mainstream angekommen. Das bedeutet aber auch, dass ich bisher nur positive Erfahrungen gemacht habe. Ich wurde zum Beispiel zu einem sogenannten „Death-Slam“ geladen, also einen Slam, wo es nur um das Thema „Sterben“ ging. In anderen Fällen werde ich zu konkreten Fachtagungen eingeladen, um zwischen den Redebeiträgen einen kurzen Auftritt zu haben. Das heißt, ich werde ganz konkret zu meinen Themen angefragt. Bisher hat mir das immer sehr viel Spaß gemacht.
Begonnen hat das Ganze ursprünglich mit dem Schreiben. Niemand muss sich dafür entschuldigen, wie es ihm besser geht, wenn er zum Beispiel gestresst ist oder sich mit schweren Themen beschäftigt. Im besten Falle ist die Art, wie wir verarbeiten und überlegen, etwas Konstruktives. Für mich war es das Schreiben.
Irgendwann habe ich gesagt, mir tut das Schreiben so gut, ich möchte das einfach mal jemandem zeigen und habe einen Text auf Instagram gestellt. Dadurch ist dann das entstanden, was eben entstanden ist. – Ich mache das, was ich liebe. Mir geht es dabei nicht um Standing Ovations, mir geht es darum, dass Menschen sagen – „Wow! Da habe ich für mich etwas gelernt.“ Und wenn es zweihundert Leute sind, die etwas lesen oder mich bei einem Poetry-Slam hören – und zwei sagen am Ende, dass es ihnen etwas gegeben hat, dann sind das zwei Leute mehr als zuvor, die ich berührt habe.
Sprache kann aber auch schmerzen. Warum ist der Satz: „Du siehst ja gar nicht krank aus“, so schlimm für dich?
Wenn jemand sagt: „Du siehst gar nicht krank aus“, dann heißt das für mich übersetzt: „Ich sehe DICH nicht und ich sehe auch die Themen nicht, die dich beschäftigen.“ Würde dieser Mensch sich aber die Zeit nehmen, einfach mal genau hinzuschauen, dann würde er sehen, dass ich viel länger gebraucht habe, um am Morgen aus dem Bett zu kommen. Dann würde er sehen, wie viel meiner eigentlichen Arbeitszeit ich bei Ärzt*innen verbringe. Dann würde er sehen, dass ich mich mit Freund*innen nur auf einen Kaffee treffe, wenn es mir gut genug geht und dass ich ganz häufig absagen muss. Der Satz „Du siehst gar nicht krank aus“, bagatellisiert die Diskriminierungserfahrung. Denn er bedeutet: Ich sehe die Exklusion nicht und ich sehe die Diskriminierung nicht. Er bedeutet aber auch: Ich nehme dich nicht ernst und ich nehme dich nicht in deiner Gesamtheit wahr. Gerade im medizinischen Kontext höre ich häufig: „Du siehst doch noch fit aus. So schlimm kann es ja nicht sein.“ Wenn es in einer Woche schon das zweiundzwanzigste Mal ist, dass ich diese Aussage höre, dann macht das etwas mit mir, mit meinem Selbstwertgefühl. Das kann sogar dazu führen, dass Menschen an sich und an ihrer Selbstwahrnehmung zweifeln. Deshalb finde ich diesen Satz nicht nur sehr verletzend, sondern tatsächlich auch gefährlich.
Du kannst durch deine Krankheit nur bedingt deine Wohnung verlassen. Fühlst du dich manchmal einsam?
Es ist ein Unterschied, ob man allein oder einsam ist. Man kann sich auch in einer Gruppe einsam fühlen, genauso wie man allein im Bett liegen kann, OHNE einsam zu sein. Bei mir kommt das Gefühl der Einsamkeit in Wellen. Es gibt ganz viele Momente, wo ich mich gar nicht einsam fühle, weil ich weiß, da sind Menschen, denen ich etwas bedeutete. Sie schicken mir zum Beispiel Videos von ihrem Urlaub und sagen dann zu mir: „Durch die Videos nehmen wir dich mit und wir erleben das jetzt, wenigsten ein Stück weit, gemeinsam.“ Das finde ich sehr schön. Allerdings, das Leben ist so bunt … Manche planen ein Haus zu bauen, andere die nächste große Reise oder einen beruflichen Auslandsaufenthalt. Es gibt so viele Möglichkeiten – aber meine werden immer begrenzter. Ich bin 27 Jahre alt und beschäftige mich mit den Themen Sterben und Tod und damit, welche Medikamente mir noch ein bisschen mehr Lebensqualität geben könnten. Manchmal habe ich dann das Gefühl, die Leben aller anderen gehen weiter, nur meines steht still. In solchen Momenten ist Social Media für mich eine große Hilfe. Die Sozialen Medien schenken mir die Möglichkeit, so gut wie immer online gehen zu können, sie geben mir eine Verbindung nach außen, die ich total schätze.
Was sind Momente, in denen du glücklich bist und aus denen du Lebensfreude ziehst?
Da gibt es mehreres. Schreiben gehört dazu und gute Gespräche. Ich mag es auch, mich in einem guten Gespräch regelrecht zu verlieren, dabei ist mir dann das Thema beinahe egal. Außerdem liebe ich Kunst – ich schaue sie gerne an und male auch selbst. Und ich mag Musicals. Denn was ich richtig gut kann, ist sitzen und gucken. Aber ein guter Kaffee, ein schönes Stück Kuchen, das macht mich auch sehr glücklich. Ich brauche gar nicht diese großen Dinge, im Gegenteil. Meist sind es die vermeintlich kleinen Dinge, die den Unterschied machen. Neulich bin ich mit einer befreundeten Person abends nochmal rausgefahren, um den Sonnenuntergang anzuschauen. Das sind dann so Erlebnisse, wo es nur darum geht, den Moment einzufangen und nichts zu leisten, sondern einfach nur zu sein. So etwas liebe ich.
Was bedeutet Hoffnung für dich?
Das Thema Hoffnung finde ich unfassbar interessant, weil ich mich frage, warum wir Hoffnung überhaupt brauchen. Ich denke, dass wir, wenn wir von Hoffnung sprechen, meistens eine Zustandsverbesserung anstreben. Aber ich selbst habe ja persönlich die Gewissheit, dass ich nicht geheilt werde. Warum also Hoffnung in etwas stecken, das nicht eintreten kann? Deshalb versuche ich, meine Energie auf etwas zu konzentrieren, das realistisch ist. Für mich persönlich ist deshalb Selbstbestimmung ein viel wichtigeres Thema als Hoffnung. Bei mir dreht sich in meinem Alltag gerade vieles darum – auch mit der Schwere meiner Themen – Inseln zu bauen, die leicht sind. Ich versuche, um die Trauer und den Verlust ein Netzwerk aus schönen Momenten zu bauen, aus Sonnenmomenten, die schöne Erinnerungen werden für Tage, an denen es mir nicht so gut geht.
Welche Hilfsmittel hast du und was macht dir deinen Alltag sonst noch leichter?
Hilfsmittel habe ich tatsächlich eine ganze Menge. So benutze ich zum Beispiel ein Sauerstoffgerät und einen Rollstuhl. Auch mein Smartphone ist sehr wichtig für mich, weil ich darüber mein Leben organisieren kann.
Was ist deine größte Angst? Wie hast du gelernt, damit umzugehen?
Was mich am meisten beschäftigt, ist vielleicht weniger eine Angst, als vielmehr eine Sorge. Es ist der Gedanke, ob ich bis zum Ende selbstbestimmt sein kann. Da ist die Befürchtung, dass ich eines Tages eventuell Dinge aushalten muss, obwohl ich für mich längst entschieden habe, dass es das für mich nicht mehr wert ist. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Der wird kommen. Ich habe nur die Befürchtung, dass er vielleicht nicht in einem Rahmen stattfinden wird, wie er sich für mich richtig anfühlt. Wenn diese Sorge bei mir aufkommt, dann kann ich darüber schreiben, ich kann meine Worte nutzen, ich kann darüber sprechen. Das ist meine Selbstbestimmung. Das ist mir wichtig!
Was schätzt du an deinem Leben – so wie es ist?
Oh, da gibt es einiges! Hätte ich diese Erkrankungen nicht, hätte ich so viele Dinge nicht gemacht, die ich nun erlebt habe. Ich hätte so viele tolle Freundschaften nicht geschlossen. Ich hätte so viele Lebensmomente nicht erlebt. Ich schätze aber auch, dass ich erkennen durfte, dass es nicht immer die großen Dinge, die großen Wünsche sein müssen, die bedeutsam sind. Ich schätze, dass jeder Tag eine neue Chance sein kann – und wenn es einfach die Chance ist, dass die Sonne ein bisschen länger strahlt oder dass diese eine Stunde ohne Symptome richtig gut wird und ich ein gutes Gespräch führen kann. Ich ziehe ganz viel aus Begegnungen. Ich mag Blumen und finde Gemälde schön. Die Welt bietet so viel Schönes!
Wir bei joviva haben es uns zur Aufgabe gemacht, Verständnis für körperliche Einschränkungen zu schaffen. Wir möchten Alltagshelden und Mutmachern die Chance geben, ihre Geschichte zu teilen. Unser Ziel ist es, aufzuklären und Versorgungslücken zu schließen.
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